Wie ein Gemälde von Salvador Dali

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Nach dem 32. Spieltag 34 Punkte mehr als in der gesamten letzten Saison. Ein neuer Bundesliga-Rekord: Noch nie verbesserte sich ein Team so extrem innerhalb eines Jahres. Seit 17 Jahren wieder ein Heimsieg gegen Bayern München. Der VfB auf Platz 3. Sicher für die Champions League qualifiziert. Vor einem Jahr noch undenkbar. Was der VfB in dieser Saison spielt und welche Ergebnisse daraus resultieren, ist wie ein Gemälde von Salvador Dali: surreal. Das sagen auch viele Fans, wenn sie diese Saison beschreiben wollen: surreal. Träume mit der Wirklichkeit verbinden wie im Surrealismus, so kommt einem die Spielweise des VfB vor in 2023/2024.

Ähnlich wie die Bilder in einem surrealistischen Gemälde sind die Ereignisse um den VfB Stuttgart in den letzten zwölf Monaten nicht einfach zu deuten. Denn in den beiden vergangenen Jahren stand der VfB um diese Zeit immer mit dem Rücken zur Wand. Beispiel 2023: Am 31. Spieltag verlor der VfB 2:1 gegen Hertha BSC, im Anschluss waren wir sicher: „Sie haben es nicht kapiert" und wir sprachen schon von Elversberg. Wir befürchteten, dass wir die verlorene Zeit und die verlorenen Punkte unter Bruno Labbadia nicht mehr aufholen würden. Heute sprechen wir und Sebastian Hoeneß von Real Madrid und gehen ganz sicher auf die Reise. Nicht nach Elversberg, sondern nach Europa.

Surrealismus zeichnet die Vereinigung nicht zusammengehöriger Dinge aus. Und tatsächlich verbindet man den VfB unter Hoeneß mit Attributen, die lange Zeit nicht zu Stuttgart gehörten: Konstanz, Widerstandskraft, Selbstvertrauen ohne Selbstüberschätzung und einen innovativen taktischen und spielerischen Plan. Die schmelzenden Uhren und schwebenden Elefanten von Dali weisen eine Parallele zum Weg des VfB auf: Sie wirken wie eine Verzerrung von Zeit und Realität. Wir Fans wurden dabei Zeugen einer Transformation, die so unvorhersehbar ist wie die Traumlandschaften des Surrealismus selbst.

Der VfB hat eine malerische Reise durch die Saison unternommen, die alle erstaunt hat. Die wagemutigen Pinselstriche zu einem Gesamtkunstwerk geformt haben Fabian Wohlgemuth und Sebastian Hoeneß. Kaderplanung und Spielidee scheinen zum ersten Mal seit langem beim VfB zusammen zu passen. Es wurden die Grenzen des Rationalen überschritten, weil fast alle Spieler besser wurden, denen wir es vor der Saison nicht zugetraut hatten. Das Team wuchs zu einer Spitzenmannschaft. Und die Mannschaft wurde zu einem echten Team.

Doch wie fast jedes surrealistische Gemälde hat auch die Saison des VfB Stuttgart ihre dunklen Seiten. So gut wie jeder Spieler wird mit einem Vereinswechsel in Zusammenhang gebracht. Das mag ein Medienphänomen sein, mit dem man sich wichtig macht und mit dem Klicks, Leser und Zuschauer generiert werden sollen, aber wir müssen damit rechnen, dass die Mannschaft der Saison 2024/2025 anders aussehen könnte als die des 34. Spieltags der Saison 2023/2024. Auch wenn Wohlgemuth in „Sport im Dritten" ein verführerisches Bild zeichnet, dass die Leihspieler Jamie Leweling und Leonidas Stergiou verpflichtet werden, er bei Deniz Undav optimistisch ist und den Verbleib von Serhou Guirassy und Chris Führich für nicht surreal hält. Wie realistisch das ist? Ob der Stuttgarter Kader 23/24 ein absolutes Unikat bleiben wird?Wir werden es sehen.

Vor fast genau sechs Jahren, am 28. April 2018 gewann der VfB in Leverkusen. Ein 1:0 durch Christian Gentner unter Trainer Tayfun Korkut. Keiner konnte sich die schier unglaubliche Serie unter Captain Kork erklären. Auch das war surreal. Die Verantwortlichen damals vermuteten sich dagegen auf einem guten Weg – der dann in die zweite Liga führte, nachdem Michael Reschke das Geld mit beiden Händen ausgeben durfte.

Unter Korkut sah alles mehr nach Zufall aus, nach Spielglück, wirkte absurd. Das ist unter Sebastian Hoeneß anders. Der größte Unterschied zu Korkut: Mut. Es werden Bälle in gefährliche Zonen gespielt, es wird Risiko genommen. Er hat das Bewusstsein erweitert, dass individuelle Fehler kollektiv behoben werden müssen. Hoeneß glaubt an das Wechselspiel von Individualität und Kollektivität: Einerseits bringt er Spieler in Rollen, in denen sie sich wohlfühlen und in Positionen, in denen sie ihre Stärken ausspielen können. Andererseits ist er überzeugt davon, dass mannschaftlicher Erfolg die Basis für individuelle Erfolge bildet. Dieses sowohl-als-auch überträgt er auf seinen Spielstil: Einerseits Spielkontrolle und viel Ballbesitz. Andererseits intensive Arbeit gegen den Ball, um Umschaltsituationen zu generieren.

Im Gegensatz zu den Vertretern des Surrealismus ist Sebastian Hoeneß eher zurückhaltend und bescheiden. Zu bescheiden, wie Deniz Undav meint. Die Leihgabe aus Brighton steht dagegen sinnbildlich für die Entwicklung des VfB in dieser Saison. Auch sein Aufstieg von der Provinz über Belgien, England und den VfB zum Nationalspieler: einfach surreal.

Jetzt müssen Hoeneß, Wohlgemuth & Co. das nächste Kunststück vollbringen: Einen schlagkräftigen Kader auf die Beine stellen, der der Doppelbelastung gewachsen ist, ohne in die ominöse Champions League Falle zu tappen.

Zum Weiterhören:
Der Rasenfunk meint „Der VfB ist das Opfer der Leverkusener". Der Podcast 50+2 sieht den VfB von der Spielanlage sogar auf Augenhöhe mit Leverkusen.

Bild: Leonhard Simon/Getty Images (bearbeitet)

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